Donnerstag, 7. Juni 2012

Unter dem Kainsmal

Schriftrollen (Foto Wikipedia)

Neid - Quell und Triebfeder  menschlichen Schaffens und Zerstörens?



"...Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick..." (1. Mose 4, 4-5 (Rev. Text 1994).

Kain ergrimmte! Man kennt die Folgen dieses Grimms aus den Texten des Alten Testamentes, man kennt seine Ursachen: Aus der Urangst, nicht dem Anderen gleich geachtet zu werden - in diesem Falle sogar der Angst, göttliches Ansehen zu verlieren -  erwächst der Neid auf den vermeintlichen Vorteil des Bruders, steigert sich zum Hass und mündet schließlich in den Brudermord. Die kreative Seite Kains zeigt sich in seiner späteren Stadtgründung, die er nach seinem Erstgeborenen Henoch nennt.


(Quelle: animated-gifs.eu)

Wie sehr der Mensch von heute noch von Kains Neid, Kains Grimm in allen seinen Varianten geprägt ist, zeigt sich in allem, was das tägliche Leben ausmacht: Politik, Wirtschaft, Berufsleben, Beziehungen...eine bunte Palette, die tief in die eigene Persönlichkeit hineinzureichen vermag. In irgendeiner Form finden diese unangenehmen Gefühle wie Neid, Missgunst, Eifersucht auch Zugang zum eigenen Ich, sei es dass man selbst von ihnen heimgesucht oder durch missliebige Handlungen des Umfelds mit deren negativen Aspekten konfrontiert wird. Überall dort, wo Menschen sich anderen gegenüber unterlegen, weniger geachtet oder benachteiligt  fühlen, kann der Neid sich zur Triebfeder kreativen oder des gegenteiligen zerstörischen Handelns entwickeln. Unverblümt in Werbungen verpackt (man kennt "mein Haus, mein Auto, mein Boot")  soll er zu Verkaufssteigerungen von Produkten führen, regt manchmal zur schöpferischen Gestaltung von Häusern oder Gärten an, führt gelegentlich zu Höchstleistungen in Sport, Kunst und Kultur, beflügelt Lernwillen und Forschungseifer, steigert kreatives Design in allen wirtschaftlichen Sparten, Film und Fernsehen; man nennt es Wettbewerb oder Ehrgeiz.
Die dunkle Seite des Neides spannt einen weiten Bogen von der Eifersucht bis hin zum Hass mit all seinen dramatischen, oft gewalttätigen Auswirkungen, nicht selten  auch bei Menschen mit gestörtem Selbstbewusstein

Der moderne Mensch erachtet weder sein soziales, berufliches, wirtschaftliches, persönliches oder politisches Sein noch als "gottgegeben" und steht somit ungewollt unter dem Kainsmal des Neides.


Der "göttliche Funke"

Wenn mich auch persönlich glücklicherweise wenig Neid gequält oder "benagt" hat, konnte ich im Alter von etwa sechs Jahren an mir selbst diese Gefühlsregung beobachten, als eine Tante die mir gleichaltrige Enkelin einer anderen Schwester meines Vaters, die aus der damaligen DDR zu Besuch gekommen war, mit einem hübsch verpackten Fläschchen Maiglöckchen-Parfums beschenkte und ich leer ausging. Tief getroffen zog ich mich in den Maulbeerbaum des Gartens zurück, damit beschäftigt, was meine im Übrigen kinderlose Tante bewogen hatte, mich mit den Worten "Du bis besser dran" nicht ebenfalls mit einem Geschenk zu bedenken. Da ich unterschwellige Aggressionen aufbaute, die zuvor geliebte "Großkusine" aus Magdeburg schmähte und auch nicht mehr mit ihr spielen wollte, hinterfragte meine Mutter die Ursache, bis ich schluchzend gestand, dass die Tante mir weder ein Parfum noch sonst ein Geschenk gegeben habe. Dass nun meine Mutter bei der nächsten Gelegenheit das "Kusinchen" um eine Duftprobe aus dem begehrten Fläschchen bat, erwies sich als äußerst kluge Handlung. "Kind", meinte sie, "das Fläschchen ist ja hübsch, benutz' aber keinen Tropfen von diesem Zeug, es stinkt fürchterlich." Ich war wie vom Donner gerührt. Dieser Neid und diese Bosheit von mir wegen eines üblen Geruchs? Groß war die Scham... 
Noch einmal suchte mich eine andere Variante des Neids heim als ich um die Heilpraktiker-Ausbildung einer Verwandten erfuhr. Diese Ausbildung hätte ich selbst gerne angestrebt, war mir jedoch aufgrund meiner dringend erforderlichen Berufstätigkeit verwehrt. Schnell wurde die  kurze Anwandlung  erkannt, die Gefahr gebannt...


(Quelle: animated-gifs.eu)

Dass der Neid, die Missgunst der Anderen, gefährlich für Leib und Leben werden kann, erfuhr ich mit 11 Jahren ebefalls am eigenen Leib. Ein besonders guter Aufsatz war mir gelungen, den ich nach der "großen Pause" vor allen versammelten Klassen unserer Schule vorlesen durfte. Es war mir fast peinlich: Die Klassen standen aufgereiht in der Tiefe des Schulhofes und ich erhöht auf der Treppe und las vor. Heute sehe ich,  dass diese Position, die mir der Direktor zugeteilt hatte, eigentlich  ein pädagogischer Fehlgriff war.  Sie musste Neid erwecken! Als die Schülergruppen anschließend die Treppen in die Klassenräume emporstiegen, ich mich zwischen meine Mitschüler begeben hatte, wurde ich plötzlich von hinten angegriffen und gewürgt. Ein 2 Jahre älterer Schüler versuchte mich, unter dem Gejohle ein paar vermeintlicher Konkurrentinnen, mit seinem Schal zu erdrosseln. Mit wahrhaftiger Todesangst schaffte ich es, ihn - ohne weitere Konsequenzen - die Treppe hinabzustoßen. Da hatte ich es gesehen, das Kainsmal, die hässliche Fratze des Neides. Es war aber eine gute Lehre, die mir erlaubte im Leben eines Erwachsenen die Auswüchse des Neides der Anderen, wie  Mobbing/Bossing und Intrigen in ihren Anfängen zu erkennen, beim Namen zu nennen und auszubremsen.  Ich wusste ja, welcher Quelle diese Aversionen entsprangen; was meine Großmutter mit "besser Neider als Bemitleider" kommentierte.
"Konkurrenz belebt das Geschäft" lautet ein geflügeltes Wort mit einem gewissen Wahrheitsgehalt, der sich dann in das Gegenteil verkehrt, wenn die Konkurrenz nicht mehr gegenseitig befruchtend, sondern zerstörerisch wirkt, das haben auch viele Firmenleitungen schmerzhaft erfahren müssen, die dieses Konkurrenzdenken unter den Mitarbeitern systematisch gefördert haben. Ein gutes Team, in gegenseitiger Achtung und Respekt, erreicht mehr als je im Würgegriff des Neides zu erreichen ist - nicht unbedingt, aber manchmal doch als horrende Rendite oder klingende Münze, aber ganz sicher im Ergebnis einer gerechteren gewaltfreieren Welt.
Werden wir, die Nachfahren Kains, unseren Neid, unseren Grimm irgendwann in ausschließlich kreative Bahnen lenken können?

Text: Elke Gelzleichter (2010, mod. Version)
Abb. (soweit nicht anders bez. animated-gifs.eu)