Gefesselter Fluss - gesprengte Ketten
Die Rachte des zweiten Elements
Es ist gleich, wie ihr
mich zu nennen beliebt: Rhein, Elbe, Donau...ich kenne euch Menschen
und ich weiß, wie ihr handelt, denn euer Leben richtet sich nach
Gewinn und Verlust.
Seit Urzeiten sehe ich
eurem Treiben zu, als ich anfing, mich tief in die Berge zu graben,
Schluchten und Auenlandschaften zu bilden, um den Lebensraum einer
vielfältige Arten-Wunderwelt an Tieren und Pflanzen zu schaffen, und
ich musste es am „eigenen Leib“ erfahren, wie es ist, wenn die
Gier euch treibt. Euch war mein Lauf nicht schnell genug, meine
Breite ein Dorn im Auge. Und so habt ihr mich, den Hüter des
zweiten Elements, gefesselt, gebunden und eingezwängt.
„Schiffbarmachung“ nennt ihr das. Meine wunderbaren Windungen,
Mäander genannt, habt ihr durchstochen, gerade Linien dazwischen
gezogen, mein Bett verschmälert und vertieft.
Immer schneller müssen
dadurch unsere Wasser fließen, immer atemloser gestaltet sich unser
Lauf, der Abflusswiderstand aus unseren Auen-Lebensräumen vermindert
sich. Große Schiffe und Lastkähne transportieren wir nun schneller
zum Ziel, aber gezwungen sind wir, unsere Betten tiefer zu graben -
manchmal sogar bis unter die Grundwasserlinie - wir dürfen uns
nicht mehr ausdehnen in unsere schönen Auen ...die nun oft
vertrocknet sind – auf denen ihr eure Äcker gesetzt habt und nun
oft schmerzlich erkennen müsst, dass es jetzt auch an Wasser für
eure Felder und Gärten fehlt. Tiefer musstet ihr Brunnen graben,
teils unter die Sohle, und ihr wundert euch, dass ihr eine
minderwertigere Wasserqualität bekommt!? Nur in wenigen „Altarmen“,
den von meinem Hauptbett abgenürten Mäandern, hat sich etwas von
der früheren Artenvielfalt bewahrt an Pflanzen,
Wasservögeln...Tieren. Unsere limnischen und terreristrischen
Systeme habt ihr empfindlich gestört. Ich bin gespannt, ob eure
Renaturierungsprogramme, teurer noch als die einstige Begradigung,
mir hilft, meine Schmerzen in dem von euch verpassten Korsett, meine
Gefangenschaft in euren Ketten zu ertragen.
Jetzt aber, jetzt
prasseln Regenschauer herab, schon seit Wochen, ich halte diesen
Druck in dieser Enge nicht mehr aus, diese Schnelle in meinem
Unterlauf ...ich – ich – kann nicht mehr, die Wasser steigen, ich
muss höher, immer höher. Ja, stellt mir nur Wände in den Weg,
jaaa, stärkt eure Deiche – an meinem Unterlauf werde ich nicht
mehr zu bremsen sein ...schneller...höher...ahhh, nun habe ich alle
Schutzwände überschritten, viele Dämme gebrochen ...ahhh – ich
bin frei und ohne Fesseln, ich bin dort, wo ich einst zu Hause war...
Ich bin das zweite
Element, niemand widersetzt sich mir auf Dauer.
Zerstörte Existenzen,
zerstörtes Leben ...culpa populo!!
c) Elke Gelzleichter 20.03.16